© Dovile Sermokas
Körperverständnis für Musiker*innen
Wie kann uns die Physiotherapie bzw. das Wissen über physiologische Abläufe helfen, besser zu musizieren und unseren Fokus wirklich auf die Musik ausrichten zu können? Genau darüber spreche ich mit der Oboistin und Physiotherapeutin Sophie Stahl.
Außerdem erwartet Dich in dem Videointerview eine Übung für die gesunde Haltung beim Musizieren. Es wird also auch gleich praktisch!
Physiotherapie für Musiker*innen
Sophie und mich verbindet neben dem Musikmachen noch eine weitere Gemeinsamkeit: Wir beiden haben eine Phase auf unserem Musiker*innenweg erlebt, in der unser Körper nicht mehr verlässlich „gearbeitet“ hat, indem unser Weg Musikerin zu werden in Frage stand. Wir beide haben in dieser Phase Hilfe und Unterstützung in der Physiotherapie gefunden und ich kann zumindest für mich sagen, dass diese Phase auch der Ausgangspunkt dafür war, dass ich mehr auf meinen Körper beim Musizieren geachtet und gehört habe. Bis heute versuche ich jeden Tag meinen Körper besser zu verstehen und liebe es in dieses Thema tiefer und tiefer einzusteigen!
Außerdem war dieses Interesse für das Verständnis über physiologische Abläufe beim Musizieren und die Potentiale, die sich dahinter verbergen, auch der Ausgangspunkt dieser Interviewreihe. Am Ende des Artikels findest Du weitere Interviews zu Yoga, Laufen, Progressive Muskelrelaxation ….
Was erwartet Dich in diesem Interview?
Vielleicht soweit erstmal zu meinen eigenen Erfahrungen als Musikerin mit der Physiotherapie. Lass uns mit den zwei folgenden Interviews – Video und Text – tiefer in die Vorteile und Potentiale des Wissens über physiologische Abläufe für Musiker*innen einsteigen. In dem Gespräch mit Sophie erfährst Du:
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… warum es gerade für uns Musiker*innen spannend und hilfreich ist mehr über unseren Körper zu wissen und ihn zu verstehen.
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… warum weniger eingreifen und tun oft mehr ist und hilft in einen Fluss zu kommen.
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… wie uns unser Körperbewusstsein auch bei Aufregung/ Lampenfieber helfen kann.
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… wie wir über das bessere Körperverständnis freien Musizieren können und uns wieder voll auf die Musik konzentrieren können.
- + eine Übung für Deine optimale Haltung beim Musizieren.
Ich wünsche Dir viel Freude mit den Interviews und freue mich auf Deine Rückmeldung in den Kommentaren unten, bei Instagram @melinapaetzold oder als Mail hallo@melinapaetzold.de
Interview mit Sophie Stahl – Oboistin & Physiotherapeutin
1. Frage: Liebe Sophie, erzähle doch erstmal etwas über Dich: Wer bist Du? Was machst Du? Warum bist Du Musiker geworden? Was bedeutet es für Dich Musiker zu sein?
Sophie: Sophie Stahl, das bin ich, lebe im Berliner Umland – genauer gesagt in Eberswalde – und arbeite in Berlin als freischaffende Oboistin und Physiotherapeutin. Musik, Zeit mit lieben Menschen verbringen, klettern, wandern, im Garten in der Erde wühlen gehören genauso zu mir wie meine beiden Berufe Oboistin und Physiotherapeutin.
Du fragst dich vielleicht, wie es zu dieser ungewöhnlichen Kombination gekommen ist? Diese Frage möchte ich dir gerne beantworten.
Dass ich Oboistin wurde, war ein Zufall. Gemeinsames Musizieren hat mich seit meiner Kindheit begleitet und begeistert. Vor allem die Entstehung von Musik durch die vielen verschiedenen Instrumente im Orchester faszinierte mich. Und dort wollte ich dabei sein. Das wusste ich!
Zu diesem Zeitpunkt fehlte im Orchester genau ein Instrument: die Oboe. Meine Chance – und so kam es, dass ich mich bereits nach zwei Wochen bei meinem ersten Oboenunterricht wiederfand. Nur ein halbes Jahr später stieg ich ins Orchester ein – und habe dieses Terrain seitdem nicht mehr verlassen. Und so kommt es, dass meine Oboe und ich im Januar dieses Jahres unser 20-jähriges Jubiläum feiern.
Als freiberufliche Oboistin findest du mich überall dort, wo gerade Mangel an Oboen herrscht. Von großen Symphonie- oder Opernorchestern bis zu kleinen Ensembles – ich bin mit Herz und Seele dabei. Diese Abwechslung und Flexibilität gefällt mir.
Wie bereits erwähnt, arbeite ich zudem als Physiotherapeutin in der Körperwerkstatt (Berlin Kreuzberg), wo ich Patient*innen mit orthopädische, neurologischen und craniomandibulären (Kopf/Kiefer) Problemen behandle.
Aufgrund meines persönlichen Hintergrundes und der Vertrautheit mit den Herausforderungen des Musikeralltags bin ich auf Musiker*innen spezialisiert.
Deswegen behandle ich nicht nur Musiker*innen mit Beschwerden in der Praxis, sondern habe meinen langfristigen Plan erfüllt und biete nun auch präventive Workshop-Programme sowie Coachings und Unterricht an, bei denen ich meine zwei Leidenschaften miteinander verbinde.
2. Frage: Welche drei Wörter beschreiben für Dich das Musizieren am besten? Was bedeutet Musik für Dich?
Sophie: Vollkommenheit, Hingabe, Interktion
In der aktuellen Situation merke ich ganz besonders, wie wichtig Musik für mich ist, dass sie ein Teil von mir ist, mich glücklich macht und Ausgleich in meinem Leben schafft. Wenn ich besonders glücklich war, oder wütend, traurig, nachdenklich oder von anderen Emotionen erfüllt, griff ich stets zur Oboe. Nach dem Spielen war ich dann deutlich ausgeglichener.
Über die Musik kann ich Vieles ausdrücken, für das ich sonst kaum Worte finde.
Meine Arbeit als Physiotherapeutin bringt mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie hilft mir mich nicht in der Musikerwelt zu verlieren.
Dennoch liebe ich es mich in der Musik zu verlieren, der Welt zu entfliehen, alles Alltägliche, weltliche, belastende hinter mir zu lassen und den Moment in der Musik zu genießen.
So halten sich meine beiden Standbeine in der Waage.
„Über die Musik kann ich Vieles ausdrücken, für das ich sonst kaum Worte finde.“
3. Frage: Wie bist Du zur Physiotherapie gekommen? Gab es hier Schlüsselmomente?
Sophie: Die ersten Schlüsselmomente mit der Physiotheraphie hatte ich bereits vor meinem Studium. Es gab eine Phase in der mir kein Arzt helfen konnte. Es sah so aus, dass ich Oboe aufhören müsste. Erst eine engagierte Physiotherapeutin konnte mir schließlich helfen. Sie hat mich sehr beeindruckt und noch heute bin ich ihr für Engagement dankbar. Zu diesem Zeitpunkt stand für mich fest, Physiotherapeutin für Musiker*innen zu werden, sollte ich mich zusätzlich zur Musik für ein zweites Standbein entscheiden.
Während des Studiums genoss ich nur Zeit für Musik zu haben und behielt die Idee weiter im Hinterkopf. Durch verschiedene Kurse am KSI Berlin, lesen von Fachbüchern, Austausch mit Therapeut*innen verstärkte sich mein Interesse für Physiotherapie im Laufe der Jahre weiter.
Am Ende meines Masterstudiums, während eines Probespieles traf ich endgültig den Entschluss, diesen neuen kombinierten Weg zu gehen. Noch auf dem Rückweg begann ich, nach Physiotherapieschulen zu suchen und schickte kurzerhand meine Bewerbung ab.
Während der Ausbildung gab es viele konkrete Schlüsselmomente und Erkenntnisse, die allesamt zur Gründung von air.ob führten.
Ganz entscheidend war ein Moment im Gynäkologie Unterricht. Hier lernten wir den Beckenboden zu spüren und zu trainieren. Noch auf dem Rücken liegend verstand ich, welche Relevanz er für die Atmung und so für uns Bläser*innen hat.
© Dovile Sermokas
4. Frage: Wie bereichert das die Physiotherapie Dein Musizieren/ Üben?
Sophie: Durch diese Erkenntnis wurde das Oboe spielen leichter und ich konnte mich beim Musizieren freier fühlen. Meine Übezeiten sind im Vergleich mit der Zeit während meines Studiums deutlich kürzer, meine Kondition aber immer noch top. Leise und tiefe Töne haben ihre bisherige Bedrohlichkeit verloren. Ich kann die Regenerationsfähigkeit meines Zwerchfells positiv beeinflussen und die Stütze ist für mich kein ominöser Begriff mehr. Im Gegenteil, ich habe ein neues Verständnis für diesen Begriff entwickelt und kann diese muskuläre Kontrolle beim Musizieren gezielt einsetzen.
Kurz gesagt: während des Oboe Spielens kann ich mich jetzt mehr auf die Musik konzentrieren.
„Kurz gesagt: während des Oboe Spielens kann ich mich jetzt mehr auf die Musik konzentrieren.“
5. Frage: Welche Erkenntnisse hattest Du durch die Physiotherapie für Dein Musizieren, die Du Dir schon früher gewünscht hättest?
Sophie: Die währen des Musizierens ablaufenden Prozesse des Körpers zu kennen und zu verstehen – das hätte ich mir früher gewünscht. Bereits das Verständnis trägt zu einer besseren Technik, weniger Überlastung bzw. gezielten Ausgleich bei. Das Verstehen von Schmerzen, Atmung, Haltung, Bewegung hat mir extrem geholfen freier und geduldiger mit mir selbst zu sein.
Heute arbeite ich viel weniger gegen den Körper als stattdessen mit meinem Körper.
Ein Beispiel dafür ist die Funktion der Lunge. Ich hatte bislang nie darüber nach gedacht, wie die Lunge funktioniert, die Luft in sie hinein- und wieder hinauskommt. Weißt du es?
Ich werde es erklären: Durch einen Unterdruck fließt die Luft in die Lunge hinein und durch einen Überdruck strömt sie wieder hinaus. Dieser Unterdruck wird aktiv durch Muskulatur erzeugt, während die Ausatmung überwiegend durch die Entspannung der Muskeln und das Gewicht des Brustkorbes entsteht. Das bedeutet, dass die Einatmung ein aktiver Prozess und die Ausatmung ein überwiegend passiver Prozess ist. Aufgrund des Drucks, den man beim Oboespiel, also beim Ausatmen, erzeugt, hatte ich eine gegenteilige Vorstellung. Das führte natürlich zu sehr viel Spannung, Pressen und Drücken an den falschen Stellen.
„Heute arbeite ich viel weniger gegen den Körper als stattdessen mit meinem Körper.“
6. Frage: Welche Probleme/ Herausforderungen konntest Du mit der Physiotherapie in Bezug auf die Musik für Dich lösen?
Sophie: Mit Hilfe von Wortspielen, Vergleichen, Vorstellungen, Haltungen versuchte ich die Atemvorgänge zu verstehen. Doch mir fehlte das anatomische und physiologische Wissen. Ich versuchte mich auf Vieles gleichzeitig zu konzentrieren, um die Luft in die Oboe zu bekommen, Vibrato und Dynamik einzusetzen. Dies nahm während des Oboe Spielens sehr viel Raum in meinem Kopf ein. So fühlte ich mich nicht frei in der Musik, eher gefangen in der Technik. Das Schöne ist, dass ich mich jetzt viel mehr auf die Musik konzentrieren kann. Viele technische Herausforderungen haben sich von selbst gelöst.
Ein Effekte hat mich besonders beeindruckt. Ich habe in der Physiopraxis über mehrere Wochen einen Beckenbodenkurs durchgeführt. Das hieß auch für mich jede Woche 2x intensives Mittrainieren. Während dieser Zeit fiel mir das Oboe spielen immer leichter, die Kondition wurde besser und der Ton stabiler. Um die Beckenbodenaktivität während des Spielens für mich zu visualisieren, habe ich die Rohrübung (Übung nur mit Mundstück) mit und ohne Beckenbodenspannung ausprobiert und die Frequenz auf dem Stimmgerät gemessen. Der Unterschied von max und min Spannung beträgt 30 Hz. Daran wird sichtbar, wie stark sich die Tonhöhe durch durch die Aktivität des Beckenbodens verändern kann. Diese Kontrolle von unten hat eine große Auswirkung auf die Kondition, den Ansatz, die Intonation und Luftgeschwindigkeit, die sonst über zusätzliche und andere Muskelspannung kompensiert wird. Die Lösung ist nun allerdings nicht, immer mit maximaler Beckenbodenspannung zu arbeiten. Der Beckenboden ist und bleibt ein Muskel. Als solchen muss man ihn betrachten, trainieren, entspannen und dosiert einsetzen.
© Simona Turk
7. Frage: Wo siehst Du das größte Potential in der Kombination von Musik & Physiotherapie?
Sophie: Wenn du deinen Körper und die stattfindenden Prozesse verstehst, die während des Musizierens ablaufen, dann kannst du deine individuelle Technik und passenden Ausgleich finden. Fakt ist: Kein Instrument, vor allem in dem zeitlichen Umfang in dem wir es spielen ist für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden förderlich. Aber wie so oft gilt auch hierbei: die Dosis macht das Gift. Regelmäßige Pausen, ein guter Ausgleich (nicht nur Entspannung, sondern auch körperliches Training!) tragen dazu bei, Verspannungen, Schmerzen und Erschöpfungszustände vorzubeugen und ausgeglichener durchs Leben zu gehen.
Jeder*r Leistungssportler*in hat einen Trainingsplan, aber welche Leistungsmusiker*in hat einen Plan für ein Ausgleichstraining? Wir sind nichts anderes als Leistungsatmer*innen, Leistungssänger*innen, Leitungsstreicher*innen, Leistungspianist*innen … (du kannst die Liste gerne weiter vervollständigen. ) Ich bin froh, dass sich das Bewusstsein bei den meisten Musiker*innen verändert. Die Suche ist groß. Vor allem nach direkten einfachen Lösungen. Unser Körper ist allerdings komplex und Lösungen individuell.
Deshalb sage ich dir nicht, wie etwas zu machen ist, sondern wie dein Körper funktioniert. AHA Effekte, die du selber erlebst sind viel wirkungsvoller und nachhaltiger. Dabei möchte ich jede*n unterstützen. Im Bezug auf die Musik bedeutet dies, dass du dich immer mehr auf die Musik konzentrieren kannst. Die geübten und verstandenen Prozesse können gezielt eingesetzt werden und Stück für Stück kontrolliert, unbewusst ablaufen.
8. Frage: Hast Du Buch-, Video- oder andere Tipps, die sich für den Einstieg oder auch die Vertiefung des eigenen physiologischen Verständnisses als Musiker*in eignen?
Sophie: Gerne würde ich an dieser Stelle mit „Ja“ antworten und dir jede Menge Literatur empfehlen können – muss aber leider passen.
(Solltest du Literatur zu diesem Thema kennen, gib mir sehr sehr gerne Bescheid!)
Es gibt viele Bücher aus dem Musikermedizinischen Bereich mit tollen Ansätzen. Leider fehlt mir aber bisher bei allen Büchern der weiterlaufende Blick (im Bezug auf die Atmung).
Die Inhalte, die ich vermittle stehen so in keinem Buch. Es ist eine Zusammenfassung aus vielen Büchern, Erfahrungen, Studien und eigenen Schlussfolgerungen.
Ein erstes Verständnis des eigenen Körpers kannst du in einem Anatomie Atlas durch betrachten von Muskeln, Knochen, Sehnen, Gelenke etc. erlangen.
Um speziell meinen Ansatz etwas kennen zu lernen, findest du auf meiner Website einige Grafiken und kurze Vergleichsvideos.
In meinen Workshops (Atmung, Beckenboden – für eine starke Stütze, Haltung) habe ich alle wichtigen Grundlagen zusammen gefasst. Zunächst erkläre ich dir die anatomischen Zusammenhänge. Im nächsten Schritt wird es praktisch. Übungen zur Vorbereitung, Nachbereitung helfen dir die theoretischen Inhalte zu verstehen und gezielt umzusetzen.
So kannst du dir einen guten Überblick verschaffen und hast viele Übungen an der Hand, um aktiv zu werden.
9. Frage: Gibt es noch etwas, was Du hinzufügen möchtest?
Sophie: Ich möchte Dich ermutigen, dich immer wieder neu auf die Suche zurück zu dir, deiner Atmung, deiner Haltung zu machen. Deinen Körper als Freundin oder Freund und nicht als Gegner*in zu betrachten. Denn in deinem Körper steckt oft mehr als du dir vorstellen kannst.
Auf dem Weg zurückzufinden unterstütze ich dich gerne mit meinen Workshops oder auch im direkt 1:1 Coaching.
Schau doch mal auf meiner Website vorbei oder melde dich direkt bei mir.
Ich freue mich auf dich!
Deine Sophie
Ich hoffe Sophie und ich konnten Dir etwas oder noch mehr Lust darauf machen, Dich intensiver mit Deinem Körper und seinem Einfluss auf das Musizieren zu beschäftigen. Lass mich gerne bei Instagram wissen, wie Dir der Artikel gefällt und teile ihn mit anderen, die das Thema auch interessant und bereichernd finden könnten.
Alles Liebe
Deine
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