Warum machen Musiker*innen Musik? Wie üben sie? Wie erhalten sie sich die Freude am Musizieren? Wie gehen sie mit den körperlichen und mentalen Herausforderungen ihres Jobs um?
In diesem Interview gibt der Schlagzeuger Clemens Grassmann Einblicke in sein Leben als Musiker und verrät unter anderem, wo er seine Inspiration findet!
1. Warum machst Du Musik? Warum bist Du Musiker*in geworden?
Ich habe schon als kleiner Junge häufig zu meinen Lieblingsliedern mitgeklopft und -getrommelt, sei es in der musikalischen Früherziehung, im Auto, beim Essen oder Spazieren gehen. Mein Vater spielt Gitarre und seine Musik nahm mich damals schon zutiefst mit: Deep Purple, Steve Morse, Cream, Led Zeppelin, es war sehr Rock- und somit Groove-lastig. Für mich als Schlagzeuger waren das definitiv die Anfänge, um einen direkten Zugang zur Musik sowie Rhythmusgefühl zu entwickeln.
Trotz mehrfacher Versuche, mir Gitarre, Klavier, Flöte oder sonstiges beizubringen, war ich vom Trommeln nicht wegzubekommen. Als ich dann anfing, bei einem alten Freund meines Vaters Schlagzeugunterricht zu nehmen, kam nach der ersten Stunde auch direkt die Anfrage für meinen ersten Auftritt, wo ich den Grundschulchor auf dem Schlagzeug begleiten sollte. „Eternal Flame“ war damals der Wegbereiter für mich, um weiterhin viel Schlagzeug zu spielen, zu üben, am Gymnasium schon vor Beginn des Schuljahres zu den Big Band Proben zu gehen, um Perkussion zu spielen und auf meine erste Gelegenheit als Schlagzeuger zu hoffen.
Die Gelegenheiten kamen mit fortschreitender Entwicklung, und ich fing an, mich viel intensiver auch außerschulisch auf die Musik zu fokussieren. Ich konnte mir nichts besseres vorstellen, als nach der Schule entweder zum Schlagzeug-, Klavier-, Theorie-, oder Gesangsunterricht zu gehen, spielte in einigen Big Bands und hatte mit Freunden unsere erste Jazz Combo gegründet.
Um das alles zusammenzufassen: Ich bin Musiker geworden, weil ich gelernt habe, die Musik zu lieben und mich ihr von früh an bedingungslos hinzugeben, auch weil ich mich im Kreise meiner Mitmusiker als Teil einer unterstützenden und inspirierenden familiären Gemeinde fühlte. Daraufhin baten sich mir wunderbare Gelegenheiten, um am tiefsten Wesen meiner selbst zu arbeiten und mein eigenes Potential auszuschöpfen.
2. Wie sieht Deine Überoutine aus? Was ist Dir beim Üben besonders wichtig?
Mein Üben hängt heutzutage sehr vom mir zur Verfügung stehenden Zeitfenster ab. Bevor ich an speziellen Details arbeiten kann, wärme ich mich auf. Entweder mit einfachen Grooves oder Kombinationsübungen, und wenn ich genug Zeit habe, spiele ich Alan Dawson’s Rudimental Ritual, häufig auch mehrmals.
Am wichtigsten dabei ist mir, dass ich mich beim Spielen wohlfühle. Während des Warmspielens checke ich alle Körperteile ab, überprüfe meine Sitzhaltung, Sitzhöhe, Position am Set und Stickhaltung, und korrigiere, wenn nötig. Das Warmspielen kann dementsprechend mitunter locker zwischen 30-120 Minuten dauern, manchmal übe ich auch ausschließlich Warmspielen und alle meine Basics.
Wenn ich viel Zeit habe und merke, dass alles soweit geölt wurde, was eingerostet war, widme ich mich neuem Material, komplexeren Technik- und Kombinationsübungen und arbeite an eigenen Ideen oder lasse mich von Musikern oder dessen Musik inspirieren.
Wenn ich nicht genug Zeit zum intensiven Warmspielen habe und mir trotzdem in aller kürzester Zeit neues Material aneignen muss, übe ich das direkt so langsam wie ich kann und vergegenwärtige mir die wichtigsten Bewegungsabläufe, um wenn möglich mental üben zu können.Wichtig ist mir beim Üben vor allem auch, dass ich ehrlich zu mir und dementsprechend produktiv bin, egal wie viel Zeit mir zur Verfügung steht. Wer beim Üben keine Fehler macht (oder erkennt), übt nicht.
3. Was inspiriert Dich und wo findest Du Motivation?
Die größe Inspiration kommt von Konzerten, bei denen ich war. Diese Energie von Live shows kann man nicht reproduzieren und Musikern quasi direkt auf die Finger zu schauen, sich bei Gelegenheit mit ihnen zu unterhalten und auszutauschen, ist für mich eine der kostbarsten und prägendsten Erfahrungen.
Zudem kommen viele Ideen von Musik und manchen Geräuschen, die ich höre und von meinen Mitmusikern und Freunden, solange ich offen Neuem gegenüber stehe. Meine Motivation zum Üben kommt dementsprechend direkt von der Musik als solcher, da es mein absoluter Anspruch als Musiker ist, stets an mir selber zu arbeiten und mich mein komplettes Leben lang mit der Musik weiterzuentwickeln. Bin ich dermaßen uninspiriert und unmotiviert, mache ich Pause oder sogar Urlaub, bevor ich es zur Sehnenscheidenentzündung, bzw. Burnout kommen lasse.
4. Wie erhältst Du Dir die Freude beim Üben?
Ich übe viel im sogenannten Flow. Wenn ich merke, dass ich Probleme mit meiner Energie oder meinem Fokus habe, mache ich eine Pause, esse, trinke, geh spazieren oder mache direkt Sport. Ich muss mich körperlich und mental wohlfühlen, um meine Freude am Üben zu erhalten und Spaß dabei zu haben, sowie an meinen Baustellen zu arbeiten und mich auf unbekannte Musik und neues Material einzulassen.
5. Wie gehst Du mit den mentalen und körperlichen Herausforderungen einer/s Musiker*in um?
Körperliche Herausforderungen sind für mich deutlich schwieriger zu meistern. Mit gebrochenen Fingern, Füßen, Rippen oder sonstwas muss ich mich komplett umgewöhnen und ich kann mir sicher sein, dass es entweder oder sowohl körperlich als auch mental schmerzt, zu musizieren und ich deutlich beschränkter in meinen Möglichkeiten bin. Dementsprechend ist es meine oberste Priorität, mich körperlich und mental fit zu halten. Ich mache Sport, achte auf Nährstoffzufuhr, halte mein Gehirn fit und genieße die Momente, in denen ich mich keiner Musik verpflichtet fühlen muss und abschalten kann. Ich brauche den Ausgleich und die Abwechslung, um auf keiner Einbahnstraße in eine Sackgasse zu geraten.
Sollte ich in körperlich oder mental unangenehmen Situationen musizieren müssen, hilft es mir besonders, mich von negativen Gedanken zu lösen, mich dem Moment hinzugeben, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und alles zu geben.
6. Hast Du Rituale vor einem Konzert? Wie gehst Du mit Lampenfieber um?
Ich habe keine bestimmten Rituale, außer mich zu vergewissern, dass ich mich auf der Bühne in jeder Hinsicht wohlfühle. Dazu gehört, dass ich Vertrauen in meine Instrumente, mein Können und die Früchte meiner Arbeit habe, mich mit den Mitmusikern gut verstehe, mir die Auswahl der Musik gefällt und ich mich vor allem im jeweiligen Raum akustisch und atmosphärisch richtig einordnen kann, um mich voll und ganz der Musik hingeben zu können. Außerdem hilfreich: Obligatorischer Toilettengang unmittelbar vor dem Auftritt, sollte das Lampenfieber die falschen Organe befeuern.
7. Welche drei Worte beschreiben für Dich das Musizieren am besten?
Freiheit. Sprache. Glück.
8. Hast Du einen Supertipp oder etwas anderes zum Thema Musizieren, den Du mit den Leser*innen teilen möchtest oder noch unbedingt loswerden willst?
Unbedingt! Für mich ist es unvorstellbar, ohne Ehrgeiz, Freude und Hingabe, gepaart mit ordentlich viel Vertrauen, erfolgreich zu musizieren. Dazu gehören viele Aspekte, die jeder selber für sich herausfinden muss. Für mich ist es wichtig, körperlich und mental beschwerdefrei zu bleiben, um mein volles Potential abrufen und mich auf den Moment fokussieren zu können und mich am jeweiligen Instrument in fast jeder Situation verwirklichen zu können.
Innerer und selbst auferlegter Druck setzt mich unter Stress, spannt mich an und mindert meine Möglichkeiten. Ich habe mein eigenes physisches und mentales Training meinem Körper und meinem Spielen angepasst und meine eigenen Strategien entwickelt, sodass ich mich wirklich selten während des Musizierens komplett unwohl fühle und mich stets voll auf die Musik fokussieren kann.
Dazu kommt auch, dass ich mich mit dem Material und verschiedenen Instrumenten vorher intensiv beschäftigt habe und mich wohl mit meinem jeweiligen Aufgabenbereich fühle. Ich lasse mich beim Spielen auf den Moment ein, achte auf meine Mitmusiker, Dynamik, Raumklang, Energie des Publikums (egal, in welcher Zahl!), akzeptiere Fehler und bleibe offen, urteilsfrei und fokussiert.
Ich lehne Angebote ab, in denen mir die Band, die Musik, die Stimmung, die Bezahlung oder das Niveau unbehagt. Ich möchte mich beim Musizieren auf meine Mitmusiker verlassen, Spaß haben und tiefstes inneres Glück spüren können, ohne mich von negativen äußeren Einflüssen beschränken und aus der Fassung bringen zu lassen.
Mein oberster Anspruch als Musiker bleibt, mich als mein ehrlichstes und angenehmstes Selbst präsentieren zu können, mich stets weiterzuentwickeln und niemals das Gefühl von Stillstand oder Stagnation zu akzeptieren. Sei glücklich, gesund und neugierig im Leben und du hast Spaß an der Musik. Hab deine Charakterschwächen und Arroganz unter Kontrolle. Sei selbstbewusst, aber bleib bescheiden und sei vor allem angenehm und hilfsbereit anderen (Musikern, Fans/Publikum) gegenüber. Kenne deine Limits. Erfülle jedes Engagement professionell. Verkaufe dich niemals unter Wert, sowohl nach außen hin als auch beim eigenen Anspruch an dein selbst erarbeitetes Können.