Warum machen Musiker*innen Musik? Wie üben sie? Wie erhalten sie sich die Freude am Musizieren? Wie gehen sie mit den körperlichen und mentalen Herausforderungen ihres Jobs um?
In diesem Interview gibt die Geigerin Alexandra Hauser Einblicke in ihr Leben als Musikerin und verrät unter anderem welcher Wendepunkt in ihrem Leben dazu geführt hat, dass sie heute mehr auf ihre Technik achtet.
1. Warum machst Du Musik? Warum bist Du Musiker*in geworden?
Musik war immer das Wichtigste in meinem Leben. Ich komme aus einer musikalischen Familie. Mein Vater ist ein österreichischer Dirigent, der derzeit in Montreal an der Schulich School of Music of McGill University tätig ist. Von ihm habe ich meine große Liebe zur Orchesterliteratur. Als ich klein war, bin ich immer zu seinen Proben mitgegangen und habe die Musik in der Orchesterpartitur mitverfolgt.
Meine Mutter hat Musikologie in Klausenburg studiert und ist Klavierlehrerin an dem McGill Konservatorium in Montreal. Zusammen haben wir seit meinem 7. Lebensjahr immer Opern im Fernseher angeschaut.
Nun, wie kam ich zur Violine? Gute Frage…dazu kann ich nur sagen, was mir selbst erzählt wurde.
Schon als Baby habe ich immer gerne klassische Musik gehört und es gab zwei Dinge, die mich zum Weinen bringen konnten: der Staubsaugers und das Klavier…eine Karriere als Pianistin konnte damit ausgeschlossen werden. 😉
Bei Streichquartetten hörte ich immer sehr aufmerksam zu, bei Orchestermusik sowieso. Deshalb vermuteten meine Eltern schon sehr früh, dass ich Musikerin werde würde. Ich entwickelte eine große Liebe zur Violine. Eines Tages war meine Mutter mit mir im Babywagen spazieren. Bei diesem Spaziergang sind wir Straßenmusikern begegnet und haben ein bisschen zugehört. Ich habe meiner Mutter deutlich gezeigt, dass ich die Violine am meisten mag. Das war der Grund dafür, dass ich mit 5 Jahren mit dem Geigenunterricht begann. Bis heute ist die Geige immer noch meine größte Liebe.
Ich bin wahrscheinlich eine ungewöhnliche Person, weil ich nur klassische Musik höre. Das bedeutet aber nicht, dass mir die anderen Musikstile egal sind, sondern dass klassische Musik der wichtigste Teil meines Lebens war und immer sein wird.
2. Wie sieht Deine Überoutine aus? Was ist Dir beim Üben besonders wichtig?
Meine Überoutine folgt immer dem gleichen Prinzip und denselben Zeiten, sie variieren nur, wenn ich in der Uni bin oder wenn Ferien sind. Meine beste Zeit ist der Vormittag, wo ich am konzentriertesten bin. Ich beginne meistens ab 7.45 Uhr mit mein Technikprogramm, damit mein Körper aufgewärmt und wach wird.
Mein Technikprogramm basiert auf der Violineschule von Prof. Michael Frischenschlager. Die Schule hat mehrere Kapitel, von denen man jedes 3-4 Monate konsequent üben soll, um eine „perfekte“ Technik zu entwickeln. Diese Violineschule behandelt alle wichtigen Themen wie: Tonleitern, Terz-, Quart-, Quint-, Sext- und Oktavübungen, Rhythmus, Vibrato, Bogentechnik (staccato, legato, spiccato, ricochet etc). Diese Routine wiederhole ich täglich, damit ich körperlich gesund bleibe und bereit für mein Repertoire bin.
Wenn ich mehrere Stücke lerne, übe ich nicht alle jeden Tag, achte aber darauf, dass ich mir selber “Deadlines” setzte, bis wann ich sie auswendig gelernt haben möchte. Ich fange immer mit dem schwierigsten Stück an, denn ich weiß, dass ich dafür am meisten Zeit benötige.
Gemeinsam mit meiner Lehrerin achte ich darauf, dass mein Repertoire aus mehreren Teilen besteht: einem Violinkonzert, einer Sonate, Etude, etwas Bach und einem virtuosen Stück, was ich für die Uni, Konzerte oder Wettbewerbe brauchen könnte.
Mittlerweile übe ich auch täglich Orchesterstellen, um mich auf zukünftige Probespiele vorzubereiten. Im Vergleich zu anderen Instrumenten arbeiten wir Streicher nicht unbedingt mit unseren Lehrer*innen an den Orchesterstellen. Aber ich glaube, je früher wir mit der Arbeit beginnen, desto besser fühlen wir uns für den Tag des Vorspiels vorbereitet.
Was ich in meiner Überoutine am Wichtigsten finde, ist, dass ich nicht sinnlos vor mir her spiele. Deshalb achte ich darauf, häufig Pausen einzuplanen. Es macht keinen Sinn, weiterzuüben, wenn die Konzentration nicht mehr 100-prozentig da ist. Eine andere Sache, die mir während des Übens wichtig ist, ist sicherzustellen, dass ich ein tägliches Ziel habe, das ich erreichen möchte.
3. Was inspiriert Dich und wo findest Du Motivation?
Ich habe einige Inspirationen, die zu meiner täglichen Motivation beitragen, darunter meine Eltern. Mein Vater wacht sehr früh auf und beginnt bereits um 5.30 Uhr, seine Werke auswendig zu lernen. Am Nachmittag beschäftigt er sich mit der Analyse der Partituren. Er hat sich immer in erster Linie seiner Musik und seinem Orchester gewidmet und das inspiriert mich jeden Tag.
Meine Mutter ist eine unglaubliche Klavierlehrerin, die sich mit Herzblut all ihren 60 Schüler*innen widmet. Darüber hinaus unterstützt sie täglich meine Schwester und mich und ist eine unglaubliche Ehefrau für meinen Vater.
Seit meinem siebten Lebensjahr habe ich einen musikalischen Helden und habe immer davon geträumt so wie er zu sein: Der russische Bariton Dmitri Hvorostovsky. Ich habe die Oper immer so sehr geliebt und seine Anwesenheit bewundert. Er interpretierte die Rolle des Charakters, den er spielte, immer perfekt und war seinem Publikum nach den Auftritten gegenüber sehr liebevoll.
Wenn ich einen Geiger nennen müsste, der mein Leben verändert hat, wäre es David Oistrach. Er hat so viel Anmut und Ausgeglichenheit auf der Bühne, einen sehr vollen Klang, eine unglaubliche Haltung und eine vorbildliche Technik.
Diese unglaublichen Künstler*innen tragen alle zu meiner täglichen Motivation und Inspiration bei, weiterhin das zu tun, was ich am meisten liebe.
4. Wie erhältst Du Die die Freude beim Üben?
Ich liebe es zu üben, weil es mir erlaubt, so viel unglaubliche Musikliteratur zu entdecken, und ich denke, dass es für uns Musiker*innen ein großes Glück ist, die schöne Musik von all diesen großen Komponist*innenen zum klingen zu bringen..
Ich bin immer neugierig den Fortschritt von einem Tag zum anderen zu sehen und die Dinge zu bemerken, an denen ich härter arbeiten muss. Ich bin einfach froh, wenn ich auf meiner Geige spielen kann.
Jeder Tag ist ein neues Abenteuer, mit einem neuen Ziel.
Als ich 13 war, hatte ich eine leichte Form der Tendinitis (Sehnenscheidenentzündung), die dank meines unglaublichen Osteopathen Dr. Hoben in Montreal geheilt werden konnte. Ich konnte fast 2 Monate lang nicht spielen und es war eine sehr schwere Zeit für mich. Ich wurde gerade in der Klasse von Prof. Helmut Lipsky am Conservatoire de Musique de Montreal aufgenommen und freute mich auf das schöne Repertoire, an dem ich arbeiten wollte. Aber wegen dieser Verletzung konnte ich nicht üben.
Ich denke, dass es diese Zeit war, in der ich mein Üben, meine Haltung und meine Technik wirklich zu schätzen lernte.
5. Wie gehst Du mit den mentalen und körperlichen Herausforderungen einer/s Musiker*in um? Stichwort Verspannungen und Mindset.
Seit meiner Verletzung hat meine Gesundheit ein wirklich hohe Priorität in meinem Leben. Als ich bei Prof. Axel Strauss an der McGill Universität in Montreal zu studieren begann, half er mir sehr, an meiner Technik zu arbeiten. Viele seiner Tipps beinhalteten Atemübungen, Üben vor einem Spiegel und auch Pausen.
Seit zwei Jahren gehe ich nun auch regelmäßig in das Fitnessstudio und das hilft mir sehr meine geistige Gesundheit zu verbessern und sicherzustellen, dass ich immer fit bleibe.
Wenn ich früh morgens übe, mache ich einige Dehnübungen, bevor ich meine Überoutine anfange, um sicherzustellen, dass meine Muskeln entspannt sind.
Vor meiner Verletzung habe ich die Technik des Gegenspielens nicht sehr ernst genommen und sofort mein Repertoire geübt. Oft waren meine Muskeln dann wahrscheinlich noch steif und nicht bereit für die intensiven Anforderungen des Repertoires.
6. Hast Du Rituale vor einem Konzert? Wie gehst Du mit Lampenfieber um?
Am Tag eines Konzerts versuche ich so viel wie möglich zu schlafen, um so möglichst viel Energie zu sammeln. Am Abend vorher gehe ich früh schlafen und stehe dann auch früh auf, um den Tag voll zu genießen. Ich versuche tagsüber nicht zu viel zu essen und konzentriere mich hauptsächlich auf meine Technik. Zum Beispiel arbeite ich langsam an schwierigen Passagen aus meinem Repertoire und normalerweise mache ich am Tag eines Konzerts keinen Durchlauf. Stattdessen probiere ich diesen ein paar Tage zuvor, vor Freunden und meiner Familie, durchzuführen.
Dank meiner ersten Geigenlehrerin Prof. Lucine Balikian habe ich kein Lampenfieber. Sie organisierte jeden Sonntag Kurzklassenkonzerte, damit ihre Schüler*innen sich daran gewöhnten, auf einer Bühne und vor Publikum aufzutreten.
Ich liebe es, wenn ich auf die Bühne trete, mit meinen Freunden, Familie und der Öffentlichkeit, die Musik zu teilen, die mein Herz mit Freude erfüllt.
Natürlich spüre ich einige Minuten vor dem Auftritt das Adrenalin und den kleinen Stress, aber ich finde es wichtig das zu spüren.
7. Hast Du einen Supertipp oder etwas anderes zum Thema Musizieren, den Du mit den Leser*innen teilen möchtest oder noch unbedingt loswerden willst?
Ich bekomme oft Nachrichten von meinen Followern, die mir sagen, dass sie nicht glauben, dass sie großartige Musiker*innen sein werden. Mein Rat an sie ist, ihrem Herzen zu folgen.
Ich denke, wir haben alle Momente, in denen wir an uns selbst zweifeln, in denen wir Angst haben, unsere Träume nicht verwirklichen zu können, auf großen Bühnen mit unglaublichen Orchestern usw. aufzutreten.
Mein Vater sagte mir einmal: „Wenn du Musik in dir hast, dann hast du einen Freund fürs Leben.”
Dieser Satz begleitet mich mein ganzes Leben und ich weiß, dass ich die Musik immer bei mir habe.
Also, sei wer du bist, folge deinem Traum, sei klug bei deinen Entscheidungen. Versuche nicht, jemanden zu imitieren, wenn du auftrittst. Erfinde dich selbst als Künstler*in, damit du statt „Wow, sie/er klingt wie Dawid Oistrach”, diesen Kommentar hörst: „Wow, ich hoffe, dass ich eines Tages wie er/sie spielen werde.“
8. Welche drei Worte beschreiben für Dich das Musizieren am besten?
Freude, Verbindung und Freiheit.