Warum machen Musiker*innen Musik? Wie üben sie? Wie erhalten sie sich die Freude am Musizieren? Wie gehen sie mit den körperlichen und mentalen Herausforderungen ihres Jobs um?
In diesem Interview gibt die Geigerin Johanna Röhrig Einblicke in ihr Leben als Musikerin und verrät unter anderem, warum Sport und Ernährung so eine große Rolle in ihrem Leben spielen.
1. Warum machst Du Musik? Warum bist Du Musiker*in geworden?
Das ist eine gute Frage, die sich gar nicht so einfach beantworten lässt. Angefangen hat alles bei mir sehr früh, als ich im Alter von 6 Jahren das ‚Instrumentenkarrussel‘ eines in der Nähe gelegenen Konservatoriums in Hamburg besuchte. Jede Woche bekam ich ein anderes Instrument in die Hand gedrückt, Geige war jedoch das erste und auch das, wofür ich mich am Ende des Kurses dann entschied.
Über die Schuljahre hinweg hatte ich private Stunden, und als ich dann mit 12/13 Jahren ins Landesjugendorchester Hamburg aufgenommen wurde, entwickelte sich in mir der Wunsch, dies zu meinem Beruf zu machen.
Ich war süchtig nach dem Gefühl, Teil einer großen Gruppe zu sein, und als ich mit 18 Jahren mein erstes Solokonzert (das e-Moll Konzert von F. Mendelssohn) spielte, kam diese unerfüllbare Sehnsucht nach Klang dazu; auf einmal machte es Klick und ich wusste, wie ich klingen wollte, was ich ausdrücken wollte.
Nach dem Abitur war es keine Frage mehr, in welche Richtung es für mich gehen sollte, und seitdem bin ich durch alle Höhen und Tiefen bei meiner Geige geblieben. Ich liebe es, mich durch Musik auszudrücken, in der Weltgeschichte herumzureisen und Konzerte zu spielen, genieße die sich immer wieder ändernden Herausforderungen durch unterschiedliche Situationen und Menschen, und bin dankbar über ein aufmerksames Publikum, das ich in Konzerten kurzzeitig mit in eine andere Welt entführen darf.
2. Wie sieht Deine Überoutine aus? Was ist Dir beim Üben besonders wichtig?
Meine Primetime zum Üben ist ganz klar vormittags. Meist fange ich nach einer heiß/kalten Dusche und etwas Yoga zum Aufwärmen gegen 8.30/9.30 Uhr mit meinem Technikprogramm, oder meiner ‚Geigenhygiene‘, wie ich dieses auch nenne, an.
Es folgen ca. 40-50 Minuten an Übungen, die aufeinander aufbauen und jeden Tag aufs Neue meine Arme, Hände und Schultern wieder in die richtige Position rücken und durch die ich in meinen Körper hineinhören, kleine Änderungen/Korrekturen vornehmen und meinen Klang jeden Tag aufs Neue finden kann.
Dadurch stelle ich sicher, dass ich körperlich gesund bleibe, und gleichzeitig lässt sich diese Routine an mein aktuelles Repertoire anpassen; ich schlage also zwei Fliegen mit einer Klatsche.
Diese Routine durchlaufe ich jeden Tag, immer leicht abgewandelt, und ich beginne nur äußerst selten (und äußerst ungern) einen Tag ohne – nur, wenn es absolut nicht anders geht.
Was dann folgt ist das jeweilige Repertoire, das ich für Konzerte/Uni brauche, aber hier habe ich keinen festen Plan. Ich versuche, nicht zu lange an einem Stück zu verweilen, da dies leicht frustrierend sein kann, und Pausen zu machen, wenn ich merke, dass mein Üben kopflos geworden und nicht mehr produktiv ist.
Eine gute Balance zwischen langsamen und ‚Konzertmodus‘-Üben ist wichtig, aber das ist von Stelle zu Stelle und Stück zu Stück anders. Produktives Üben steht bei mir an oberster Stelle; alles andere ist Zeitverschwendung und kann sogar gefährlich werden, wenn es in Richtung Verletzungen geht, die leicht passieren durch unüberlegtes und unreflektiertes Üben.
3. Was inspiriert Dich und wo findest Du Motivation?
Ich habe nie zu den Geigern gehört, die sich bei YouTube oder anderen Musikern ‚Inspiration holen‘. Dieser Begriff ist mir tatsächlich so fremd, dass ich Schwierigkeiten hätte, zu sagen, ob mich überhaupt etwas inspiriert. Was ich musikalisch ausdrücken möchte, ist meist immer schon in mir drin vorhanden; ich muss nur in mich hineinfühlen und genau genug hinhören, um es freizulegen.
Natürlich ist es nötig, Feedback von Lehrern zu bekommen, die dann einiges oft wieder zurechtrücken, aber da geht es meist um technische Sachen und nicht um die Interpretation an sich. Dies ist auch genau das, wo meine Motivation herkommt; ich habe eine musikalische Vorstellung in meinem Innern, einen fast schmerzhaften Drang, mich durch meine Geige auszudrücken. Schmerzhaft aber in einem positiven Sinne; oft sind die Schattierungen, die ich malen, der Klang, den ich erschaffen möchte, in meiner Vorstellung so schön, dass es wehtut.
Geige spielen ist kein Hokuspokus, und um diese inneren Ideen aufs Instrument zu übersetzen, braucht es halt Technik. Die versuche ich, beim Üben zu finden; so zurechtzurücken, dass mir das gelingt, was in meiner Vorstellung schon besteht. Das ist Motivation genug! 🙂
Wichtige Konzerte bieten natürlich noch einmal einen extra Grund, sich besonders konzentriert und genau vorzubereiten, deswegen freue ich mich immer um so mehr, wenn etwas Größeres bevorsteht, was meist der Fall ist.
4. Wie erhältst Du Dir die Freude beim Üben?
Ich denke, die Balance zwischen den verschiedenen ‚Übemodi‘ zu behalten, ist ganz besonders wichtig, um die Freude beim Üben zu bewahren.
Manche Stellen verlangen es, unglaublich langsam und präzise geübt zu werden, bei anderen Stellen geht es um längere Phrasen, wieder bei anderen um Sound, usw..
Mehrere Stunden am Stück lang nur ein und dieselbe Sache zu üben würde wahrscheinlich den motiviertesten Musiker irgendwann in den Wahnsinn treiben (und die, die zuhören müssen, auch?), daher versuche ich immer, mein Üben so abwechslungsreich wie möglich zu halten. Wenn ich merke, dass ich an einer Stelle an diesem Tag nicht weiterkomme, gehe ich oft einfach zu einem anderen Stück, und wenn ich eine allgemeine Erschöpfung spüre, höre ich auch einfach mal auf und gehe zum Sport oder so.
Bevor ich neue Stücke erlerne, bereite ich fast immer meine Noten vor, indem ich Fingersätze und Striche eintrage; eine weitere Form des Übens, für die das Instrument selbst überhaupt nicht nötig ist. Diese Form des mentalen Übens mache ich oft in Cafés; so komme ich auch mal raus aus meinem Überaum.
5. Wie gehst Du mit den mentalen und körperlichen Herausforderungen einer/s Musiker*in um?
Aufgrund schwerwiegender gesundheitlicher Probleme, mit denen ich seit einigen Jahren zu kämpfen habe, steht Gesundheit für mich an oberster Stelle. Ich habe viel Arbeit und Zeit in meine Geigentechnik investiert, um so entspannt zu sein, dass mir das Spielen selbst keine Schmerzen/Verletzungen zufügt (Nacken-/Schulterprobleme, Sehnentzündung, usw.), aber das ist natürlich nicht genug.
Ich bewege mich viel; mache Krafttraining und Ausdauertraining im Fitnessstudio und jeden Morgen eine kurze Yogaeinheit, bei der ich auch meine Arme, Hände und sogar Finger dehne. Auch meine Faszienrollen nehme ich mit, wohin auch immer ich verreise, und dieses Konzept scheint aufzugehen.
Seit 6 Jahren habe ich keine einzige ‚musikalische Verletzung‘ mehr gehabt. Ich achte darauf, besonders vor Konzerten natürlich genügend Schlaf zu bekommen und bin fest davon überzeugt, mein Lampenfieber auch durch meine Ernährung, die im Moment ausschließend tierischen Produkten besteht, im Griff zu haben. Niemand möchte zusätzlich zum Adrenalin eines Konzertes zusätzlich mit den Folgen von zu viel Koffein, Nikotin oder Zucker im Blut zu kämpfen haben, aber dies hier weiter auszuführen würde den Rahmen des Interviews sprengen.
Bis vor einiger Zeit war es für mich absolut nötig, zu meditieren, um psychisch ausgeglichen zu bleiben, doch mit meiner jetzigen Ernährung ist auch das nicht mehr nötig. Die Ernährung hat einen großen Einfluss auf unsere körperliche und psychische Gesundheit, daher versuche ich, da so viel rauszuschlagen, wie es geht. Rauchen/Alkohol/Drogen sind da raus, das ist sowieso klar.
6. Hast Du Rituale vor einem Konzert? Wie gehst Du mit Lampenfieber um?
Da ich normalerweise früh aufstehe und früh ins Bett gehe, versuche ich an Konzerttagen immer, lange auszuschlafen, um abends dann noch fit zu sein. Ich stehe auf, mache mich fertig und fange an zu üben – verausgabe mich allerdings nicht zu sehr und lege den Fokus darauf, das Repertoire noch einmal langsam durchzugehen.
Nach einem Mittagsschlaf (wichtig!) mache ich mich mit genügend Zeit und so wenig Stress wie nötig zum Konzertort auf; meistens fahre ich mit dem Taxi, da öffentliche Verkehrsmittel Lärm und zusätzlichen Stress bedeuten würden. Außerdem ist ein Taxi der perfekte Ort, um mental noch einmal das Repertoire durchzugehen, da ich Solokonzerte natürlich auswendig spiele. Die Fahrer bitte ich meist, die Musik auszuschalten; vor Konzerten habe ich überhaupt keine Toleranz was irgendein Gedudel aus dem Radio angeht.?
Am Konzertort angekommen gibt es meist eine kurze Probe, und dann ziehe ich mich in mein Zimmer zurück. Ich esse etwas, mache mein Makeup, ziehe mir mein Kleid an und dann meistens gleich einen dicken Pulli drüber, damit mir nicht kalt wird. Oft übe ich dann noch etwas/gehe langsam ein paar Stellen durch, und dann mache ich eine kurze Meditation/Atemübung meist 30 Minuten vor meinem Auftritt, bei der ich noch einmal in alle meine Muskeln hineinfühle, mich bewusst entspanne und den Sauerstoffspiegel im Blut durch bestimmte Atemfolgen senke, was die Aufregung in Schach hält.
Danach heißt es noch einen Schluck trinken, toi toi toi und los gehts!
7. Hast Du einen Supertipp oder etwas anderes zum Thema Musizieren, das Du mit den Leser*innen teilen möchtest oder noch unbedingt loswerden willst?
Ich glaube, das Wichtigste ist, an sich zu glauben, und durch alle Ups and Downs die Liebe zur Musik nicht zu verlieren.
Nach Konzerten, wenn Menschen aus dem Publikum mit strahlenden Augen auf mich zukommen und mir sagen, wie es sie berührt hat, mich spielen zu hören, werde ich immer wieder daran erinnert, warum ich all das eigentlich mache.
Zwischen Üben/Stress/Problemen vergisst man das leicht, dabei gehören wir zu den privilegiertesten Menschen auf dieser Welt überhaupt, so einen wunderschönen Lebensmittelpunkt haben zu dürfen!
Möchtest Du mehr über Johanna erfahren? Dann schau sehr gern auf ihrer Website und bei Instagram vorbei!
Titelfoto: Raimar von Wienskowski